2020-07-12 – Klärwerk Herne

2020-07-12 – Klärwerk Herne

°descriptio°:

Bei meinem vergleichsweise späten Start zu meinem Rundflug duch das nahegelegene und mir schon deshalb liebgewordene Areal habe ich nicht geahnt, was mich erwarten könnte. Gut, ja, es war Sonntag, und am Sonntag muss man genau genommen mit ALLEM rechnen und sich einfach nur mal überraschen lassen. Das hat mir vorher keiner gesagt, aber jetzt weiss ich ja für die Zukunft Bescheid.

Meinen Inspektionsflug begann ich mit dem am nächsten gelegenen Ziel, dem

Faulschlammturm des ehem. Klärwerks Herne

Am 12.11.2015 wurde von vier hochrangigen Korruptionsfürsten – die jeweils verschiedene politische und wirtschaftliche Fachgebiete vertreten aber gemeinsam (und wahrscheinlich auch nur jeder für sich) nur ein Ziel haben – der sogen. „Startschuß“ für die „Umgestaltung“ des Areals der ehem. Herner Kläranlage gegeben.

Dass das Gelande bereits in 2010 von einer Hamburger Künstlerin in Mitleidenschaft gezogen wurde, sieht man an dem mit bedeutungsschwangeren Schlagworten und-texten am ehemaligen Faulschlammturm, der im Zuge der Emscher-Renaturierung einer neuen Bedeutung zugeführt werden sollte. Der Trümmer sollte stehen bleiben, wurde dann von innen entkernt und von aussen für die hier anssässige allgemeine Vollpfostenliga und den der Alpenromantik überdrüssigen Urlaubern aus Bayern sowie katastrophengeilen Wochenendschnellsäufern aus Hamburg, Berlin oder sonstwelchen schauderhaften Metropolen als ansonsten völlig belangloses Ruhrgebietsmarkenzeichen umfunktioniert. Ein viel zu niedriger Aussichtsturm auf einem ehemaligen Scheißhaus. Wer hätte das gedacht?

Und weil das Blechei naturgemäß von allen Seiten sichtbar ist, entschloss man sich im Rahmen der erstmalig abgehaltenen Veranstaltung „Emscherkunst 2010“ die Frankfurter Künstlerin Silka Wagner mit der bedeutungsvoll geschmacklosen Aussendeko zu betrauen.

Der Turm erhielt mit den Mosaiksteinchen auf seiner Aussenhülle eine ganz neue Bedeutung. Er wurde damit zum (damals noch) angestrahlten Denkmal des Aufstiegs und Niedergangs der ohnehin geplant kurzen Bergraubbaugeschichte dieser Region. Eigentlich sollten die sichtbaren Datumsmarken anlässlich der ständigen Ausbeutung der hier hart ausgebeuteten Menschen auf die daraufhin auch berechtigten Bergarbeiterproteste hinweisen. Nur leider hat man im Zuge der Entwicklung, die die Konzeptionierung der „Route der Industriekultur“ so mit sich brachte, nicht wirklich bedacht, dass die Ausbeutung von Mensch und Umwelt ja nun mal nicht wirklich ein kutureller Gegenstand ist. Und der verbliebene Ruinenschrott schon mal gar nicht. Der ist nur deswegen stehen geblieben, weil es zu teuer geworden wäre, den abzureissen um dann die erst rücksichts- und jetzt hoffnungslos verseuchten Standortflächen zu sanieren.

Statt darüber nachzudenken, wie sinnvoll die Projekte des vollmundig beworbenen Strukturwandels sind, freut man sich erstmal über die neuen Gäste, denen man hier die Hose runterzieht, weil man sonst keine lukrative Geldquelle mehr erschließen kann. Mit Ausnahme der von überzogenen Gebühren durch den Verbrauch von Strom und Wasser geplagten Ureinwohner, die – sofern sie kein Eigentum haben – mittlerweile durch sogen. auslegungsfähige „Mietspiegel“ die horrend ansteigenden Mietpreise für abrissreifen Wohnraum zahlen sollen.

Und es wird gefeiert. Mit Weihrauch und Feuerwerk und Puffbrause. Vor allem feiern sich die selbst, die es irgendwie geschafft haben, sich soweit nach oben zu vögeln, um andere jetzt an ihrem Glück keinesfalls teilhaben lassen zu müssen.

Mit dem vielversprechenden Slogan: Zukunft gestalten.

Damit wird wohl in erster Linie deren eigene Zukunft gemeint sein. Denn sehr weitsichtig scheinen die „Projekte“ ja nicht wirklich zu sein. Von der Renaturierung der Emscher mal ganz abgesehen. Das ist eine vernünftige und durchaus lobenswerte Maßnahme. Die allerdings die wohlhabenden Eigentümer von vermietbarem Wohnraum dazu hinreissen lassen, ihre Mietpreise an die umgestaltete Umgebung anzupassen. Denn das Wohnen in einem zukünftigen Naherholungsgebiet hat nun mal seinen Preis.

Ich hab hier ein paar weiterführende Verknüpfungen auf mehr oder weniger interessante und auch nur vage aussagefähige Quellen zum Thema zusammengetragen:


2015-11-12 – hallo herne (Lokalkompass)

Alte Kläranlage wird zum Freizeitstandort

Circus Schnick Schnack zieht 2017 dorthin

2015-11-12 – WAZ+

Emscherumbau – Alte Herner Kläranlage erwacht demnächst zu neuem Leben

Emschergnossenschaft gestaltet das Areal für 2,6 Millionen Euro um.

2016-04-24 – WAZ+

Emscherprojekt – Aus für Circus Schnick-Schnack auf „Seebrücke“ in Herne

Das Projekt „Seebrücke“ ist vom Tisch. Emschergenossenschaft will neues Projekt präsentieren.

2020-07-02 – EGLV Emscher-Lippe – Pressemitteilungen

Emscherkunstweg startet Veranstaltungsreihe “Vor Ort”

Gesprächsrunde zum Wandmosaik auf der ehemaligen Kläranlage Herne findet am 12. Juli 2020 statt


Das in der Pressemitteilung angekündigte Szenario bot sich mir dann bei meiner Ankunft am Turm. Und neugierig hatte ich dann auch aus sicherer Entfernung – ich war weder geladener Gast, noch hatte ich präventiv die bescheuerte Schutzmaske am Mann – das Ende der Veranstaltung noch gerade so eben erhaschen können. Und damit auch die Pracht und Herrlichkeit, in der sich durch hemmungslosen Konsums von teuerer Puffbrause hochrot gesoffene Köpfe und irgendwie merkwürdig erscheinende Künstler sonnen und gegenseitig auf ihre ganz eigene Art selbst beweihräuchern.

Leider ist mir entgangen, ob neben der Erörterung des mit Mosaiksteinchen beklebten Blecheis auch die Sprache auf die zukünftige Nutzung der derzeitigen Ruderalfläche gekommen ist. Denn soweit den letzten erhältlichen Meldungen zu entnehmen war, scheint irgend jemand schon die Häflte des aus Münster locker gemachten Zuschusses vereinnahmt, aber bislang anscheinend ja noch nicht seinem angedachten Zweck zugeführt zu haben. Was mir persönlich natürlich durchaus Recht ist, auch wenn es da mal wieder nicht mit rechten Dingen zuzugehen scheint …

Aber weil ich aufgrund des Menschenauflaufes irgendwie eine ganz schlechte Vorahnung bekommen hatte, ob hier nicht doch irgendwann mal wieder eine völlig überflüssige und vor allem den dann bei mir allerletzten Nerv tötende Baustelle entstehen wird, hab ich die Gelegenheit – vielleicht sogar zum letzen Mal – noch eben als bezeugender Zeitgenosse genutzt, und die anscheinend vier wichtigen Köpfe für mich mal konserviert.

In anderen Gegenden trägt man sowas kunstvoll miniaturisiert am Gürtel.

derzeitig ungenutzte Ruderalfläche des ehem. Klärwerks

Dieses Areal ist möglicherweise im Fokus der Gestaltungsplaner. Aber wie es scheint, scheiden sich zum Glück noch die Geister darüber, wie und womit und von wem und wann genau diese Fläche, die gerade von der Natur zurückerobert wird, für sinnbefreiten Aktionismus eingeebnet, betoniert, bunt bekleckert und zu allem Überfluss dann auch noch Nachts abscheulich für NIEMANDEM nützlich, für JEDEN schädlich, aber dennoch  für ALLE kostenträchtig illuminiert wird.

Für mich zählt das Gelände des ehemaligen Hafens Herten eigentlich noch dazu.

Eine Abgrenzung in meinen Beiträgen mit Hilfe von separaten Schlagwörten habe ich deshalb unterlassen.

Nur der heutige Überschriftstitel lässt vermuten, dass es sich um einen neuen Ort handeln könnte. Dem ist aber nicht so. Die Gebiete gehören für mich zusammen, weil sie geografisch nicht deutlich voneinander abgegrenzt sind. Sondern nur eigentumsrechtlich besondere Erwähnung durch irgendwelche mittlerweile vandalistisch umgelegten Schilder finden, auf denen der Hinweis zu entnehmen ist, dass es sich hier und da um ein Privatgelände handelt, das den Eigentümer aber offensichtlich nicht weiter interessiert.

Solange ich noch die Gelegenheit habe, hier auf einen kurzen Sprung mal nach dem Stand der natürlichen Dinge zu sehen, werde ich es durchaus geniessen, ist es doch mitterweile das letzte im Nahbereich für mich verbliebene NaturSuchGebiet und aufgrund fehlenden Pflegeeingriffs mit den derzeit vergleichsweise meisten Fundstücken gesegnet. Hinzu kommt noch, dass die relativ kleine Fläche ausserhalb des Interesses von anderen Bekloppten ist, und – wenn überhaupt – gelegentlich mal ein Hundehalter seinen Wuff laufen lässt. Sollnse machen. Hier reguliert sich im Moment anscheinend alles noch von selbst.

Eisenbahnbrücke über den ehemaligen Hellbach

Die stillgelegte und anscheinend ebenfalls stark gealterte und vermutlich baufällige  Eisenbahnbrücke über die Emscher hatte ich bereits am 07.07.2020 als Objekt meiner Begierde versucht auf Digiloid zu bannen.

Die heutige Eisenbahnbrücke, die über den in der Vergangenheit aus der Not heraus für den hoffnungslos überzogenen Bevölkerungszuwachs wie die Emscher als Abwasserkanal zweckentfremdeten Hellbach führte, entdeckte ich bei einer vorangegangenen Expedition wieder mehr so zufällig bei einem anders gewählten Rückweg, über den ich die Streckenführung und markante Wegpunkte herausfinden wollte. Und siehe da: in einer Wegbiegung lag sie dann auch, unter Büschen und Bäumen versteckt und fast komplett zugewuchert. Und natürlich auch extrem baufällig. Wobei das massive Traggerüst aus Kruppstahl immer noch topp aussieht. Wäre der Stahl damals schon aus China importiert worden, würde die Brücke wohl heute nicht mehr stehen. Nur die Gleisbettholzbalken sind zwischenzeitlich verrottet oder geklaut worden.

Der Weg, auf dem ich mich befand, war also eine ehemalige Bahntrasse, die von Osten nach Westen führend fast komplett abgeräumt war. Den Umfang der Bahnstrecken des ehemaligen Hafens Herten kann man durch die zugewucherte Vegetation nur noch ansatzweise erahnen. Und historische Aufzeichnungen über die Bahn- und Hafenanlagen lassen sich im Internetz nicht finden. Dazu war der Hafen schon seinerzeit im Vergleich zu den Bergraubbaugebäuden wohl nicht wichtig genug und möglicherweise auch schon mit der nächstgelegenen Zeche Recklinghausen Schacht I spätestens in 1972 stillgelegt worden. Genauso wenig wichtig also, wie der Stadthafen Recklinghausen. Der nur durch die Monstermühle immer noch – oder besser: schon wieder – in Betrieb ist.

Klärwerkbecken

Mein Rundflug führte mich zurück zum Ausgangspunkt am Faulschlammturm. Diesmal von der nördlchen Kanalseite aus Westen kommend. Weil mir während der zuvor erhaschten Diskussion über den Sinn des kunstgesteinigten Blecheis schon Böses schwante, nahm ich die Gelegenheit der Einsamkeit wahr, den Klärwerkbecken mal etwas näher zu kommen und kletterte über die Absperrungen und Stacheldrähte. Das hatten andere vor mir auch schon gemacht. Also wird das ja kein Problem werden, die offenen Behälter aus der direkten Nähe zu erforschen. Solange die noch so da sind, wie sie so da sind. Denn es regt sich in mir der Verdacht, dass sich hier bald was ändern wird. Und das wird für meinen Geschmack nichts Schönes werden …


°loco°

Rundritt über die Emscherinsel am ehem. Klärwerk Herne und ehem. Hafen Herten


°ego sententiam°

Unter der Autobahnbrücke der BAB43 hatte ich am 2020-07-07 unverschämtes Glück gehabt. Kurz vor meiner Ankunft scheint der Grafitti-Schäff eines seiner erstaunlichen Kunstwerke vollendet zu haben. Und es war von den üblicherweise dann nachfolgenden Vollidioten, die ebenfalls, aber nur für den vandalistischen Zweck, Sprühdosen und Farbeimer bei sich tragen, noch unbehelligt gelassen.

Das Gemälde war also zum Zeitpunkt meiner Trophäenjagd quasi noch jungfräulich.

Aber heute, gerade mal 5 Tage später, nahm ich dann traurig zur Kenntnis, dass die vollverstrahlten Idioten sich mit ihren grässlichen sinnbefreiten Schmierereien auf der alles überragenden Kunst ausgetobt hatten. Das Gemälde war im Arsch.

Grafitti ist der Knaller. Wer das draufhat ist für mich ein wahrer Künstler.

Grafitti ist wohl nur deshalb in den Verruf gekommen, weil irgendwelche mit Langeweile geplagten und überdies augenscheinlich idiotisch veranlagten Flachwichser einen Nachahmungsversuch starten und dabei kläglich scheitern. Die verzieren nichts, die versauen alles. Das ist nicht nur ärgerlich sondern gehört aus meiner persönlichen Sicht gnadenlos mit der weltweit anerkannten Höchststrafe belegt.


°supplementum°

Kein Nachtrag erforderlich. Die Zeit wird es mit sich bringen, wenn sich Änderungen ergeben werden, die einen Ausflug hierhin dann auch unmöglich werden lassen.


°illustrationen°:


°navigation auxilium°

… man könnte auch Navigationshilfe drauf sagen. Ab hier geht’s irgendwie weiter …


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